Peter Ziegler †


10. September 1937 bis 23. Juni 2024

Nachruf auf einen Geschichtsfreund mit grossem Herzen

 

Peter Ziegler entdeckte seine Leidenschaft für die Geschichte schon in jungen Jahren. Bereits als Viertklässler packte er die dicken Bände des Anzeigers vom Zürichsee auf einen Leiterwagen, fuhr sie vom Schulhaus nach Hause und schmökerte in den alten Nachrichten und Inseraten. Er begann damit, einen Themen-Index zusammenzustellen. Noch Jahrzehnte später ist dieses Verzeichnis ein wertvoller Fundus und hat die Suche über 120 Jahre Zeitung vielen Recherchierenden schon oft enorm erleichtert.

 

Das letzte Werk von Peter Ziegler ist die Biografie über den Wädenswiler Geometer Rudolf Diezinger (1770–1847), dessen Pläne von Wädenswil um 1830 zum diesjährigen Jubiläum des Stadtparlaments digitalisiert worden sind. Unterhaltsam und detailreich beschreibt Ziegler das Leben und Werk Diezingers, der weit über die Grenzen des Dorfs wirkte. Mit einem Augenzwinkern erzählt er von Diezingers Faible für Listen und Tabellen – und drückt dadurch insgeheim seine Verbundenheit mit dem nerdigen Fachmann aus. Denn Peter Ziegler hat über die Jahrzehnte sicher deutlich mehr Verzeichnisse und Listen zusammengetragen, als Diezinger es je tat. Der Index zum Anzeiger vom Zürichsee, Namenslisten von Volkszählungen, Wirtschaftspatente der Wädenswiler Beizen, Häusernamen und zugehörige Adressen, Flurnamen mit ihren Bedeutungen, die Chronik im Jahrbuch der Stadt Wädenswil – eine vollständige Aufzählung wäre selbst eine seitenweise Liste.

 

Peter Ziegler war ein Jäger und Sammler von Daten und Fakten, aber auch von Bildern und Archivalien, die er über die Jahre in seiner Wohnung und in der Garage anhäufte. Es war ihm aber stets wichtig, aus diesen Materialien Geschichten zu erzählen und die Erkenntnisse zu veröffentlichen. Das Sammeln war kein Selbstzweck – die Geschichten sollten unter die Leute kommen. Über die Jahrzehnte ist so ein Werk entstanden, dass hunderte Artikel, Broschüren und Bücher umfasst. Die Schriften zeichnen sich dadurch aus, dass sie akribisch recherchiert und trotzdem verständlich und volksnah geschrieben sind.

 

Peter Ziegler stammte aus einer Lehrerfamilie: Urgrossvater, Grossonkel, Grosstante, Grossvater, Grossmutter und Vater waren allesamt Lehrpersonen. So war es naheliegend, dass auch Peter Lehrer wurde. Ab den 1970er-Jahren war er zudem Didaktikdozent, bildete angehende Lehrerinnen und Lehrer aus und schrieb die Lehrmittel «Zeiten, Menschen, Kulturen» in neun Bänden. Das pädagogische Denken wirkte sich auf das historische Schaffen aus: Peter war immer bemüht, Geschichte nahbar zu erzählen und das Publikum – Schülerinnen und Schüler, aber auch Erwachsene – für Zusammenhänge zu interessieren und den Archiven auch die witzigen Anekdoten zu entlocken.

 

Seine Begeisterung für Geschichte war ansteckend, und wenn er mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht Episoden aus früheren Zeiten zum Besten gab, hingen die Zuhörenden an seinen Lippen. Und doch – obwohl durch und durch Lehrer – hatten seine Erzählungen kaum etwas Dozierendes, das Lehrreiche ergab sich aus seinem fundierten Wissen, das er enthusiastisch teilte. 1992 erhielt Peter die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich und trug fortan den Titel Dr. h. c. (honoris causa). Er freute sich über solche Auszeichnungen, so auch, als ihn die Stadt Wädenswil zum 75. Geburtstag mit einer Festschrift überraschte. Das Professorale ging ihm trotz des Titels aber völlig ab: Peter Ziegler war eine nahbare Persönlichkeit, der sein Wissen grosszügig und ohne Allüren teilte.

 

Alle, die mit Geschichte zu tun hatten und sich bei Peter Ziegler meldeten, erhielten reichhaltig Auskunft, Bildmaterial oder Forschungsnotizen. Was er erarbeitet hatte, sollten andere verwenden dürfen und zu etwas Neuem formen. Nicht selten folgte auf eine Frage, die am Vormittag gestellt worden war, bereits am Nachmittag eine Antwort, die aus vielen Dokumenten, Bildern und Informationen bestand. Viele haben von seinem offenen Umgang mit seinem Wissen profitiert: Geschichtsinteressierte, Forschende, die Stadtverwaltung, die Zeitung, die Historische Gesellschaft. Oft lud er die Anfragenden zu sich nach Hause in sein Reich ein, erzählte ausführlich und lieferte Material. Meistens zündete er irgendwann seine tägliche Zigarre «für den Kreislauf» an. Beim Kaffee und Kuchen schloss sich auch Elisabeth Ziegler an, die interessiert mitdiskutierte und aus ihren zahlreichen Engagements und ihrer Lebenserfahrung ihre Anregungen beisteuerte. Die lebhafte und sich gegenseitig neckende Diskussion zeigte, wie sehr sich die beiden als Gesprächspartner schätzten. Die Besuche mit dem warmen Empfang an der Einsiedlerstrasse werden fehlen.

 

Eine besondere Beziehung pflegte Peter Ziegler zur Burgruine. Mit 17 Jahren veröffentlichte er sein erstes Büchlein über Alt-Wädenswil, später präsidierte er über Jahrzehnte die Stiftung zur Erhaltung der Burg und leitete in den 1980er-Jahren eine grosse Ausgrabung. Und: Auf der Burg haben sich 1961 Peter Ziegler und Elisabeth Keiser an ihrem Geburtstag verlobt.

 

Auch in denkmalpflegerischen Belangen hat sich Peter Ziegler stark engagiert. Als im Bauboom der 1970er- und -80er-Jahre viele Gebäude abgerissen wurden, setzte er sich mit fundierten Analysen für den Erhalt der Häuser ein. Es konnte da auch vorkommen, dass er gegen die Meinung des etablierten Professors Hauser anschrieb. Dass die Wertschätzung an historischen Gebäuden schwand, enttäuschte ihn. Besonders traurig machte Peter die Entfernung von einigen Reihen Kirchenstühlen in der reformierten Kirche. Über Jahrzehnte lang hatte er zum Gebäude geforscht und Restaurierungen und Ausgrabungen begleitet.

 

1975 gründete Ziegler das Jahrbuch der Stadt Wädenswil, das in diesem Jahr in seiner 50. Ausgabe erscheint. Es war sein Herzensprojekt, für das er hunderte Autorinnen und Autoren gewann, unzählige Texte schrieb und Geschichten entdeckte. 2016 übergab er das Jahrbuch Adrian Scherrer und in das Patronat der Historischen Gesellschaft. Dennoch lieferte er jährlich noch immer mehrere Artikel. Seine Forschungen erhielten so stets eine breite Leserschaft.

 

Peter Zieglers Sammeltätigkeit brachte die Kapazitäten der Wohnung von Zieglers an ihre Grenzen. Schliesslich erreichte er, dass die Stadt Wädenswil 2002 am Hoffnungsweg die «Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee» einrichtete, wo ein grosser Teil seiner Bibliothek und zahlreiche Archivalien ein neues Zuhause fanden. Viele Einzelstücke, aber auch ganze Archive von Familien, Vereinen, Anlässen und Firmen haben durch Peter Zieglers Sammeln, aber auch durch Angebote an die Stadt und an die Historische Gesellschaft, seither den Weg in die Dokumentationsstelle gefunden. Es ist eine Sammlung, die in der Region eine Besonderheit darstellt und als eines von Peter Zieglers Vermächtnissen erhalten bleibt.

 

Peter Ziegler war engagiert, interessiert, enthusiastisch, gesellig, akribisch, politisch. Zum Glück hat er auch hier die wichtigsten Stationen aus seinem Leben schriftlich festgehalten: In vier Büchlein, die er 2021 veröffentlicht hat. Auch diese Schriften sind unterhaltsam, anekdotenreich und persönlich. Wer mehr über seine Lebensstationen erfahren will, dem sei die Lektüre sehr empfohlen.

 

Zu Peter Zieglers vielen Veröffentlichungen zählen unzählige Jubiläumsschriften von Vereinen und Firmen. Es gab kaum Themen in Wädenswil, zu denen er nie etwas geforscht oder publiziert hätte. Oft griff er dabei auf seine gesammelten Unterlagen zurück, wenn der Auftraggeber nur ein lückenhaftes Archiv hatte. Als ihn beispielsweise die Tuwag für ein Jubiläumsbuch anfragte, erkundigte sich Peter Ziegler mit einem verschmitzten Lächeln nach dem Firmenarchiv. Man gestand ihm, dass man erst vor Kurzem vieles entsorgt hatte. Peter Ziegler liess sein Gegenüber noch etwas zappeln und erlöste es schliesslich. Er hatte die Archivalien in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Mulde gerettet und bei sich sichergestellt – die Firmengeschichte konnte geschrieben werden.

 

2004 gründete Peter Ziegler mit anderen die Historische Gesellschaft. 2005 verlieh ihm der Verein die Ehrenmitgliedschaft. Zu Beginn wirkte er bei den ersten Ausstellungen und Veranstaltungen noch aktiv mit, mit der Zeit lehnte er sich aber auch gerne zurück und genoss, was – auch aus vielen seiner Forschungen – zusammengestellt und präsentiert wurde. Natürlich bot er seine Hilfe an, wenn die Kuratierenden mit Fragen oder Bildersuchen in letzter Minute bei ihm auftauchten. Er schmunzelte darüber, wenn er mitten in der Weihnachtszeit Hilferufe aus der Ausstellungsvorbereitung erhielt und half gerne aus der Patsche. Auch bei der Objektsuche war ein Besuch bei Peter Ziegler oft die Lösung. Als man auf der Suche nach einem Feuerlöscheimer mit Wädenswiler Wappen war, bat er den verdutzten Kurator in den Korridor, wo das Objekt der Begierde auf einem Sockel stand.

 

Trotz seines immensen Wissens erwartete Peter gespannt die neuen Ausstellungen der Historischen Gesellschaft. Als er nicht mehr so gut zu Fuss war, versprach er einmal im Januar, gut zu trainieren, um noch rechtzeitig bis Ausstellungsschluss im April genug fit für einen Ausflug in die Kulturgarage zu sein. «Made in Wädenswil» in diesem Jahr war die letzte Ausstellung, die er besucht hat. Seine fast kindliche Begeisterung, die Peter Ziegler an der Vernissage zeigte, bleibt als besondere Erinnerung in unseren Herzen. In Zukunft wird wohl jede Ausstellung auch ein wenig ihm gewidmet sein.

 

Traurig, aber dankbar

Christian Winkler

Präsident Historische Gesellschaft Wädenswil

Ende Juni 2024